10 Gitarren, die du kennen solltest #6: Musima Gitarre

Made in Germany: Musima Gitarren

Du kannst in ein beliebiges gutes Musikgeschäft gehen und wirst feststellen, dass die meisten Gitarren amerikanische Gitarren sind. Mit Ausnahme einiger japanischer Hersteller (Ibanez, ESP, Yamaha) und spanischer Konzertgitarren wurde der Großteil der Rock ‘n’ Roll-Geschichte auf amerikanischen Gitarren geschrieben. Und das aus gutem Grund – Die Amerikaner haben dieses Genre ebenso wie die E-Gitarre erfunden und stellen insgesamt die besten Instrumente zur Verfügung.

Gibt es ein europäisches Pendant?

Es gibt natürlich mehrere europäische Marken zur Auswahl:

  1. Bison, Eko, Höfner

    Burns aus London hat einige ziemlich coole Gitarren gebaut: das passend benannte Bison-Modell mit bulligen, nach innen gerichteten “Hörnern” und speziellen Tri-Sonic-Tonabnehmern, die für ihre Aufnahmefähigkeit und harmonischen Reichtum berühmt sind.

  2. Dann gibt es noch Eko, eine italienische Marke, die für ihre ausgefallenen und funktionsreichen Gitarren mit vielen Knöpfen und Reglern bekannt ist.
  3. Und natürlich kennen wir alle die Höfner Bass von Paul McCartney, die stilvoll symmetrisch für den linkshändigen Beatle ist.

Aber das wahre Gegenstück zur amerikanischen Gitarre… kommt von hinter dem Eisernen Vorhang, wo entgegengesetzte politische Ideologien einige unerwartete Gitarren hervorbrachten.

Und weil wir von Uberchord in der ehemaligen Hauptstadt der DDR ansässig sind, wird sich dieser Artikel mit dem besten Gitarrenproduzenten der DDR befassen: Musima.

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The Musima Guitar

Als ich Ende 2012 nach Berlin kam, fand ich in einem Antiquitätengeschäft in Neukölln eine halbakustische Gitarre. Es war eine Sunburst ES-335 mit einem dicken, schwerfälligen Hals, einem ungewöhnlichen Vibratosystem und einer fragwürdigen Elektronik.

Aber sie war gestimmt, hatte einen anständigen Sound und jene Vintage-Coolness, von der ich hoffte, dass sie mir unter den Berliner Musikern Glaubwürdigkeit verleihen würde. Ich bekam meine erste Musima für 60€ und nannte sie Daphne.

Schneller Geschichts-Exkurs

Musima war in Markneukirchen ansässig, in der Nähe der tschechischen Grenze. Das Erzgebirge in der Region bot die richtigen Voraussetzungen für hochwertige Fichten, die für den Geigen- und Akustikgitarrenbau unerlässlich sind. Seit den 1700er Jahren sammelten sich in der Gegend Geigenbauer an, was Markneukirchen einen hervorragenden Stammbaum verleiht. Die Stadt war berühmt für ihre Orchesterinstrumente und hatte  einst wahrscheinlich die höchste Konzentration von Instrumentenbauern auf der Welt.

Markneukirchen war berühmt für seine Orchesterinstrumente und hatte einst wahrscheinlich die höchste Konzentration von Instrumentenbauern der Welt.

Screen Shot 2015-07-29 at 16.46.23Die meisten Einwohner beschäftigten sich mit der Herstellung von und dem Handel mit Instrumenten oder der Lieferung des Rohmaterials. Schon bald waren Instrumente mit dem Namen Markneukirchen hoch angesehen.

Das kommunistische Regime nach dem Zweiten Weltkrieg brachte einige Veränderungen mit sich, da die Regierung bestrebt war, das Beste aus Markneukirchens Expertise zu machen. 1952 wurde Musima als Genossenschaft gegründet, in der viele der Handwerker und Familienbetriebe der Stadt unter einer kollektiven Verwaltung zusammengefasst wurden.

Die ostdeutsche Regierung war bestrebt, Musima zu einem Beispiel der kommunistischen Industrie zu machen, und unterstützte das Unternehmen, das sich schnell zum größten in der DDR entwickelte. Mit 1200 Mitarbeitern in den 1980er Jahren und einer Spitzenproduktion von 360 Gitarren pro Tag exportierte Musima elektrische und akustische Gitarren in 53 Länder rund um den Globus.

Hier sind 5 Merkmale, die Musima-Gitarren zu etwas Besonderem machen

1. Preisleistungsverhältnis

Frühere Musimas galten allgemein als anständige, preiswerte Gitarren. Die hochwertigeren Instrumente, die von den erfahreneren Handwerkern hergestellt wurden, waren meist dem Export vorbehalten. Es handelte sich oft um schöne Gitarren mit innovativem Design, auch wenn die DDR-Maschinen und die Elektronik nicht mit den US-Gitarren mithalten konnten.

2. Nähe zur Geigenfamilie

Die robuste Elektrina, die in den frühen 60er Jahren auf den Markt kam, hatte sehr viel von den Streichinstrumenten, die das Unternehmen weiterhin herstellte. Der obere Teil des Korpus ähnelte einem Cello, was dem Instrument eine elegante, modernistische Ästhetik verlieh.

3. Interessantes Design

Die Gitarren sind jedoch vor allem für ihre Archtop-Designs bekannt. Sie klingen weich, aber funkelnd durch die Single-Coil-Tonabnehmer aus der Sowjet-Ära (etwas breiter und wärmer klingend, aber immer noch mit Single-Coil-Flimmern), auch wenn ihr dicker Hals und ihre hohe Saitenlage sie etwas ungewohnt zu spielen macht.

Sie klingen weich, aber funkeln durch die Single-Coil-Pickups der Sowjet-Ära

Aber was sie am meisten von anderen Gitarren unterscheidet, ist ihr Aussehen. Ungewöhnliche Lackierungen, wie Goldglanz oder Zebrastreifen in Violetttönen, spritzlackiert oder aus dickem Perlmutt auf das Holz geklebt, verleihen den Gitarren ein manchmal schönes, manchmal grelles Aussehen. Und einige Gitarren haben fette F-Löcher, die einem ausladenden Fu-Manchu-Schnurrbart oder Donnerkeilen ähneln.

4. Es wurde oft billiger Ersatz für teures Palisanderholz verwendet

Ausländische Importe waren oft Mangelware: Als das exotische Palisanderholz (benötigt für Griffbretter) zur Neige ging, griff Musima auf lokal produziertes Birnbaumholz zurück. Schwarz gebeizt, hatte dieser billige Ersatz tatsächlich Eigenschaften, die dem Palisanderholz bemerkenswert ähnlich waren.

5. Der Halsstab

Eine weitere Anekdote betrifft den Halsstab. Die Gitarrenbauer von Musima fanden nicht heraus, wie man den Hals dünner machen konnte. Schließlich gelang es ihnen, eine Genehmigung für den Erwerb einer elektrischen Burns zu erhalten und sie nach Ostdeutschland zu importieren (die meisten westlichen Waren galten damals als Schmuggelware).

Als das begehrte englische Instrument schließlich in Markneukirchen ankam, wurde den Geigenbauern von Musima jedoch verboten, diese teure, staatlich geförderte Gitarre auseinander zu nehmen. Sie mussten sie in ein nahe gelegenes Krankenhaus bringen, wo Röntgenaufnahmen die geheime Funktionsweise des ominösen Halsstabes enthüllten.

Musimas heute: historische Relikte aus einer anderen Zeit

Die Musima-Fabrik schloss ihre Tore ziemlich bald nach der Wiedervereinigung, einfach weil sie auf einem freien globalen Markt nicht konkurrieren konnte. Die meisten Musiker sind sich einig, dass sie nicht die am besten klingenden, am besten spielbaren Gitarren sind – manchmal sind sie nicht einmal die schönsten, da sie häufig als kitschig empfunden werden. Doch sie sind authentisch Vintage, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit.

Musimas sind authentisch Vintage, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit.

Wenn man eine Musima in die Hand nimmt, kann man die Geschichte, die diese Gitarren erzählen, nicht leugnen. Sie tragen die Spuren ihrer Vorbesitzer, von denen viele verbotene westliche Rockmelodien gespielt haben, um dem autoritären Regime für einen Moment zu entkommen. Vielleicht waren diese Gitarren mehr als nur Instrumente; vielleicht symbolisierten sie die Hoffnung auf Freiheit.

In Berlin kannst du immer noch Musimas finden (ein guter Ort ist Vintage Audio in Berlin in der Schönhauser Allee 28). Und wenn auch der Instrumentenbau in Markneukirchen selbst nachgelassen hat – der Geist der Stadt und ihr Streben nach Exzellenz lebt weiter: Ein junger Mann namens Christian Frederick Martin wanderte Anfang der 1800er Jahre von dort nach Pennsylvania aus und gründete C.F. Martin & Co., eine der besten Akustikgitarrenfirmen der Welt. Sein Fachwissen kam aus Markneukirchen.

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